„Es hat sich gelohnt!“
Text: Sarah Plate, Fotos: Ralf Krämer, privat
17 Jahre lang unterstützten Annemarie Römer und ihr Mann ein Patenkind in Addis Abeba, Äthiopien. Sie schrieben Briefe, begleiteten es durch die Schulzeit und das Studium. Dass sie Yonas Bogale jedoch irgendwann persönlich treffen und noch Jahre nach Ende der Patenschaft mit ihm verbunden sein würden, hätten sie sich nicht erträumt. Doch plötzlich stand er vor ihrer Tür.
Januar 2018 im hessischen Lollar. „Wir wollten verreisen, saßen schon auf gepackten Koffern.“ Als plötzlich drei Personen, eine Frau und zwei Männer, in den Hof kommen. An der Tür fragt die Frau auf Deutsch: „Sind Sie Annemarie Römer? Wir kommen aus Äthiopien!“ Die kann es kaum glauben: „Ich dachte, ich muss mich festhalten. Ich habe genau gewusst, wer das war.“ Als sie ihren Mann, Reinhard Felten, dazuruft und er die Gruppe erblickt, weiß auch er direkt, wer da vor ihm steht: „Das ist ja der Yonas!“
Für Yonas, er ist mittlerweile 28 Jahre alt, wird in diesem Moment klar, dass man ihn hier nicht vergessen hat. Er ist zu Besuch bei seiner Schwester Meseret, die seit einigen Jahren in Frankfurt lebt. Schon von Äthiopien aus hatte er sie angefleht, seine ehemalige Patin zu finden. Sie recherchierte online, fand einen Friseursalon auf diesen Namen. War das die richtige Annemarie Römer? Aufs Geratewohl fuhren die Geschwister gemeinsam mit Meserets Freund los – und hatten Erfolg!
„Seit 20 Jahren träume ich davon, Annemarie zu treffen. Ich habe mich immer mit ihr verbunden gefühlt“, meldet sich Yonas per E-Mail zu Wort. Er ist mittlerweile wieder in Addis Abeba. Hier arbeitet er als Maschinenbau-Ingenieur in der Firma seines älteren Bruders. „Durch die Briefe und Fotos kannte ich ihre Gefühle, ihre Güte und ihre Familien-Erinnerungen.“
Für Annemarie Römer und ihren Mann war Yonas immer ein Teil der Familie: „Ich weiß es noch genau: Es war der 13. Dezember vor 20 Jahren, der 50. Geburtstag meines Mannes. Da habe ich den Brief aus dem Briefkasten geholt und gewusst: Jetzt haben wir ein Patenkind. Seitdem war Yonas immer präsent, auch wenn wir mal nicht so viel geschrieben haben.“ Sie sieht sich häufig die alten Fotos und Briefe an: „Ich habe alles aufbewahrt. Wenn man sich das anschaut, sieht man wie im Daumenkino, wie er gewachsen ist.“
Als er dann vor ihrer Tür stand, hatte er alle Briefe und Fotos der vergangenen Jahre dabei: „Er dachte wohl, dass er sich irgendwie ausweisen muss“, erinnert sich Frau Römer. Alle waren sehr aufgeregt, Yonas redete nicht viel. Noch heute ist er überwältigt: „Mir fehlen die Worte dafür, was ich gefühlt habe, als ich sie endlich sah. Ich denke, ich habe tiefstes Glück empfunden.“
Eine Woche später trafen sie sich erneut. Auch Annemarie Römers Enkel Hannes war da und ziemlich aufgeregt: „Oma, wie soll ich das denn machen? Ich kann doch noch nicht so gut Englisch!“ Sie konnte ihn gut verstehen: „Er war ganz begeistert! Ich glaube, er dachte, ganz Afrika kommt zu Besuch!“
Nicht überall trifft Annemarie Römer mit ihrer Geschichte auf Zustimmung. Sie muss die Patenschaft häufig rechtfertigen. Kommt das Geld wirklich an? Bringt das denn etwas? Sie ist sich jedoch sicher: „Ich finde, eine Patenschaft ist eine wichtige und wertvolle Sache!“
Ihr Mann brachte sie auf die Idee, eine Patenschaft abzuschließen: „Als wir uns kennenlernten, war ich noch Raucherin. Ich habe nicht viel geraucht, aber er sagte immer: ,'Von dem Geld kannst du auch ein Kind bei der Kindernothilfe unterstützen.‘“ Nachdem sie mit dem Rauchen aufgehört hatte, schloss sie trotzdem nicht gleich eine Patenschaft ab: „Ich habe das immer vor mir hergeschoben. Dann hatte ich aber ein Schlüsselerlebnis: einen Unfall, der zum Glück gut ausging. Danach war mir klar: Das mache ich jetzt!“ Auch heute hat sie noch eine Patenschaft. Allerdings ohne Briefkontakt, denn: „So etwas wie mit Yonas, das ist eine einmalige Sache.“
„Er ist so ehrgeizig“, erzählt Annemarie Römer. Derzeit bewirbt Yonas sich für eine weitere Ausbildung zum Piloten. Seine Schwester Meseret sagt dazu: „Was Yonas wollte, hat er immer auch durchgesetzt!“
So rücken Lollar in Hessen und Addis Abeba in Äthiopien plötzlich ganz nah aneinander: „Er war und ist so eine Bereicherung“, sagt Annemarie Römer. „Ich bin die glücklichste Person der Welt, weil ich zwei tolle Mütter habe“, sagt Yonas Bogale.