Wenn Kinder im Parlament sitzen
Text: Katharina Nickoleit Fotos: Christian Nusch
Dass Kinder Mitspracherecht bekommen, wenn es um ihre Rechte und Belange geht, ist in Kenia ungewöhnlich. Die Falling Waters Secondary School in Nyahururu hat mithilfe des Kindernothilfe-Partners St. Martin das Experiment gewagt und ein Schülerparlament gegründet. Mit Erfolg – das Beispiel macht jetzt Schule.
Es hat durchaus etwas Präsidiales, wie Bonnie da sehr gerade und mit ordentlich gebundener Krawatte im Besprechungszimmer der Falling Waters Secondary School sitzt. Und tatsächlich ist der 14-jährige Präsident – und das schon seit zwei Jahren. Präsident des Schülerparlamentes. „Mir fielen immer wieder Kinder auf, die schlecht behandelt wurden. Dagegen wollte ich etwas tun“, erklärt Bonnie, warum er für das Amt kandidierte. Und genau das ist es, was er als Präsident des Schülerparlaments erreichen möchte.
Das Schülerparlament der Falling Waters Secondary School hat die Gelegenheit, sich in Sachen Demokratie und Mitbestimmung zu üben, umgehend genutzt. Bei ihrem ersten größeren Einsatz ging es allerdings nicht um misshandelte Kinder, sondern um die Bedürfnisse ihre Mitschüler. „Eine Zeit lang gaben uns die Lehrer so viele Hausaufgaben auf, dass keine Zeit mehr zum Spielen blieb“, berichtet Bonnie. „Wir sind zur Schuldirektion gegangen und haben uns beschwert. Wir konnten sie davon überzeugen, dass sich an den Hausaufgaben etwas ändern muss, weil wir ein Recht zum Spielen haben.“ Bonnie wirkt sehr zufrieden mit sich, als er an diesen Erfolg zurückdenkt.
Der kenianische Erziehungsstil ist autoritär, erst vor Kurzem wurde die Prügelstrafe in den Schulen verboten. In einer Umgebung, in der Körperstrafen zum Alltag gehören, ist es für die Schüler schwer, ihre Stimme zu erheben, wenn sie sehen, dass andere Kinder misshandelt werden. Dass man Züchtigungen nicht einfach hinnehmen muss, ja sich sogar dagegen wehren kann, das ist für die meisten Kinder etwas Neues. Bei Evi hat das, was sie in den Sitzungen mit Simon Maina gelernt hat, einen tiefen Eindruck hinterlassen. Für die 13-Jährige ist das Recht auf körperliche Unversehrtheit das Kinderrecht, das in Kenia am meisten verletzt wird. „Ein Kind in meiner Nachbarschaft wurde von seinen Eltern zur Strafe mit heißem Wasser verbrüht“, erinnert sich Evi. Dabei konnte und wollte sie nicht mehr länger zusehen. Ermutigt durch das, was sie im Kinderparlament gelernt hatte, nahm sie all ihren Mut zusammen und trat für die Rechte dieses Kindes ein. „Ich habe die Behörden eingeschaltet. Das Kind wurde erst im Krankenhaus behandelt und dann zu Pflegeeltern gegeben.“
Es sind solche Geschichten, die Simon Maina davon überzeugen, dass die Arbeit mit den Schülerparlamenten wichtig ist. Anfangs war es schwer, die Schulen dafür zu gewinnen, bei dem Projekt mitzumachen. Wird es nicht nur einfach für Unruhe sorgen, wenn die Schüler Mitspracherechte bekommen? Werden die Kinder nicht womöglich aufmüpfig und schwer zu bändigen, wenn sie wissen, dass sie Rechte haben? „Wenn sich Kinder ihrer Rechte bewusst werden, lernen sie zugleich auch viel über ihre Verantwortung, die damit einhergeht. Und das wiederum macht den Unterricht für die Lehrer einfacher“, erklärt Simon Maina.
Und Bonnie und sein Parlament geben ihm Recht. Die Falling Waters School war die erste, die der Wahl eines Schülerparlamentes zustimmte. Bonnie fühlt sich als dessen Präsident ganz selbstverständlich nicht nur für die Rechte, sondern auch für die Pflichten seiner Mitschüler verantwortlich. „Wir sagen den Kindern auch, dass sie im Unterricht Disziplin halten, dass sie ruhig sein und pünktlich kommen müssen.“ So fremd und bizarr das Konzept „Schülermitverantwortung“ den Schulen in Nyahururu anfangs vorkam, nachdem sich im Bezirk herumgesprochen hatte, dass damit keineswegs die Ordnung in sich zusammenbricht, fragen zunehmend Vertreter anderer Schulen, ob sie sich das genauer anschauen dürfen. Das macht Hoffnung. Denn wenn sich mehr Kinder dafür einsetzen, dass ihre Altersgenossen zur Schule gehen dürfen, ohne Gewalt aufwachsen und anständig ernährt werden, kann sich vieles zum Besseren wenden.
Stand: April 2018