Simbabwe: Vom Ende eines Glaubenssatzes über das Fischen
Text und Foto: Christoph Dehn
Christoph Dehn, ehemaliger Auslandsvorstand der Kindernothilfe, besuchte mit einer Reisegruppe aus Deutschland Frauen einer Selbsthilfegruppe in Simbabwe.
Gib einem Hungrigen einen Fisch und er wird einen Tag lang satt, lehre ihn aber Fischen, und er wird ein Leben lang satt. Dieser Satz begleitet mich seit Jahrzehnten, seit ich in den frühen siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts begonnen habe, mich für Fragen der internationalen Entwicklung zu engagieren. Nun sitze ich in einer großen Runde mit Frauen einer Selbsthilfegruppe, die Begeisterung ausstrahlen und nach jedem Redebeitrag aufspringen, vielstimmig singen und tanzen. Und ich fange an mich zu fragen, ob dieser Satz überhaupt stimmt. Natürlich kann es in dem Binnenland Simbabwe nicht viele Menschen geben, die vom Fischen leben; aber darum geht es nicht. Viel wichtiger ist das andere: Diese Frauen haben ihr Leben selbst in die Hand genommen, jede von ihnen hat zu den wöchentlichen Gruppentreffen einen US-Dollar mitgebracht. Daraus ist ein kleiner Kapitalstock gewachsen, aus dem sie sich verzinsliche Kredite gegeben haben, um Geschäfte aufzubauen, aus deren Gewinnen sie Schulgeld für ihre Kinder bezahlen.
Stolz zeigen sie uns ihre persönlichen Kontohefte und das dicke Kassenbuch der Gruppe. Diese Frauen musste niemand das Fischen lehren. Sie wissen selbst, was sie brauchen, und wie sie es anstellen, sich aus den Fesseln der Armut und Fremdbestimmung zu befreien. Was sie brauchen, ist Unterstützung bei der Organisation und Fortbildungen in Planung und Auswertung, Buchhaltung und Gruppenleitung. Die bekommen sie von der Kindernothilfe durch ihre simbabwische Partnerorganisation Hope for a Child in Christ (HOCIC), die die Gruppen begleitet, oder durch ausgebildete Freiwillige (Community Facilitators), die gerne einspringen, wenn Rat gebraucht wird.
Treffen mit Hindernissen
Es war gar nicht einfach gewesen, die Frauen zu treffen. Unser Besuch in Mbembesi musste bei der Lokalverwaltung beantragt werden. Dafür waren plötzlich Kopien aller Pässe unserer Gruppe erforderlich. Dann, am Abend des letzten Werktags vor der geplanten Begegnung, kam das Verbot: eine Gruppe von 17 Deutschen in einem simbabwischen Dorf, noch dazu kurz vor den anstehenden Wahlen, ist nicht erwünscht. Aber die Kindernothilfe-Koordinatorin und HOCIC waren findig und luden die Frauen kurzerhand in ihr Büro in Bulawayo ein.
Die Gruppen haben ihr Leben verändert
Da sitzen wir nun, 17 Deutsche, die meisten im Ruhestand, viele mit kirchlicher Anbindung, in einem großen Kreis im Garten mit zwei Dutzend simbabwischen Frauen, Mitglieder der Selbsthilfegruppe aus Mbembesi und einer Vereinigung von mehreren weiteren Gruppen aus der Gegend. Die Frauen berichten mit Begeisterung, wie sich ihr Leben durch die Gruppe verändert hat. Drei von ihnen unternehmen mit Krediten aus der gemeinsamen Kasse monatliche Einkaufsreisen in die benachbarten Länder Botswana, Sambia und Südafrika. Dort besorgen sie Schuhe, Kleidung, Decken und Bettwäsche und verkaufen sie zu Hause mit Gewinn. 150 Dollar pro Monat tragen sie so zum Familienbudget bei. Eine andere Frau hat einen kleinen Dorfladen aufgemacht, der den Nachbarinnen Einkaufsfahrten in die nächste Stadt erspart und zudem der Familie ein Einkommen erwirtschaftet. Und gemeinsam mit Selbsthilfegruppen aus den Nachbardörfern haben sie die Verwaltung dazu gebracht, endlich die Straße in die Stadt instand zu setzen. Damit sie ihren Einfluss dauerhaft behalten, kandidieren nun zwei oder drei der Frauen bei den anstehenden Wahlen für Positionen in der Lokalverwaltung.
Die Männer, ja die Männer seien nicht sofort begeistert gewesen. Aber sie hätten dann doch zugeben müssen, dass die Frauen einen wichtigen Beitrag für den Unterhalt der Familie leisten und in der Gemeinschaft mehr und mehr anerkannt werden. Die Machtverhältnisse hätten sich verschoben.
Diese Frauen erfüllen sich ihre Wünsche selbst
Während die Frauen erzählen, singen und tanzen, wird mir bewusst, dass hier etwas anders ist. Niemand in der Runde bittet uns um Geld oder Projektunterstützung. Was die Frauen brauchen, schaffen sie mit ihren eigenen Ressourcen, mit ihrem eigenen Kapital, mit ihrem Wissen und gegenseitiger Beratung. Wie anders ist das hier als in manchen anderen Projekten, die wir im Lauf unserer Reise besuchen konnten. Gelegentlich bekamen wir die Wunschzettel schon ausgedruckt in die Hand. Diese Frauen voller Energie und Lebenslust erfüllen sich ihre Wünsche selbst. Dafür brauchen sie keinen, der sich zu ihnen hinunterbeugt und endlich beibringt, was sie für ihren Lebensunterhalt lernen müssen. Hier hat die Redewendung vom Fischen-Lehren keine Bedeutung mehr.