Uganda: Aufschwung am Äquator
Text und Fotos: Ludwig Grunewald
Uganda gehört zu den ärmsten Ländern der Welt – und zu den jüngsten. Knapp 70 Prozent der Menschen sind nicht einmal 25 Jahre alt. Armut bedeutet für junge Menschen aber nicht nur, fast nichts zu besitzen, sondern auch oft, perspektivlos vor sich hin zu leben. Wir waren entlang des Äquators unterwegs und haben drei kurze Geschichten mitgebracht, die zeigen, wie vielfältig die Kindernothilfe-Partnerorganisationen Kindern, Jugendlichen und ihren Familien die Chance auf eine bessere Zukunft geben.
Ein Dorf im Hinterland der Stadt Mbale, sechs Autostunden von der Hauptstadt Kampala entfernt. Hier im Mount Elgon Nationalpark ist es wunderschön – und bettelarm. In der Stadt springt die Armut den Besucher quasi direkt an. Hier dagegen versteckt sie sich zunächst zwischen malerischen Hügeln, sattgrünen Plantagen und saftigen Wiesen. Schaut man genauer hin, zerbricht das Postkartenidyll sofort. Zu kaputt sind die Straßen – falls es welche gibt –, die Häuser und die Kleidung der Kinder. Hier zu leben bedeutet für viele – außer der schönen Aussicht – wenig Perspektive zu haben.
Auf in die Selbstständigkeit
Unter einer Plane sitzen wir im Kreis mit 20 Frauen. Frauen, die zu den Ärmsten der Armen gehörten. Mütter, die nicht wussten, wie sie ihre Kinder ernähren oder die Schulgebühren für sie aufbringen sollten. Menschen, die deprimiert zu Hause saßen und deren Potenzial und Selbstbewusstsein langsam aber sicher zwischen schreienden Kindern und trinkendem Ehemann versickerten. Hier kommen Frauen zusammen, die ihr Leben in die Hand genommen haben; Mütter, die für ihre Kinder und Familie ihre Zukunft verbessern. Die Frauen der Selbsthilfegruppen in Sibanga. Unterstützt von der Kindernothilfe-Partnerorganisation, der Diözese von Mbale, treffen sie sich seit zweieinhalb Jahren. Gemeinsam sparen sie und geben sich gegenseitig Kredite. Gemeinsam überlegen sie, wie sie ihre Familien und ihr Dorf voranbringen können. Aber vielleicht am allerwichtigsten: Gegenseitig geben sie sich wieder Selbstbewusstsein und die Kraft, ihre Probleme anzugehen.
"Bald seid ihr wie ich!"
Dicht gedrängt sitzen wir vor Katie in ihrer etwa vier Quadratmeter großen Näherei. Ein schlichter Backsteinschuppen, der Platz für ein Regal, Katies Nähmaschinen und etliche bunte Kleidungsstücke bietet. Angestrahlt von etwas Sonnenlicht, das seinen Weg durch die enge Tür findet, lächelt sie uns an. Nervös spielt sie mit ihren Fingern. Dann legt sie los: Unsere Übersetzerin weiß gar nicht so recht, wie ihr geschieht, denn Katie berichtet in einem Mordstempo, wie sich ihr Leben in den vergangenen Monaten verändert hat. Es sprudelt nur so aus ihr heraus. Obwohl wir zu diesem Zeitpunkt noch keine Ahnung haben, wovon sie genau spricht, ist eine Übersetzung eigentlich nicht nötig, denn Augen, Stimme und die Energie, die uns entgegenströmt, sagen mindestens genauso viel wie Katies 1.000 Worte. Man erkennt Freude und Zweifel – aber vor allem die Motivation, die sie ausstrahlt. Als unsere Dolmetscherin schließlich aufholt, erfahren wir mehr: „Mir ging es schlecht und ich war voller Sorgen“, berichtet die 24-Jährige, denn ohne Schulabschluss sieht es für junge Menschen auf dem Lande – wenig überraschend – besonders schlecht aus. „Jetzt bin ich lebendig und voller Freude“ – ein Satz, den wir ihr ohne Weiteres abkaufen.
Was war geschehen? Katie wurde Teil des Berufsbildungsprogramms, das der Kindernothilfe-Partner Bungokho Rural Development Centre (BRDC) vorantreibt. Dieses richtet sich an Jugendliche und junge Erwachsene zwischen 14 und 24 Jahren – vor allem an Schulabbrecher und junge Mütter. Das Besondere dabei: Es bringt nicht nur etwas für die jungen Menschen selbst, sondern bereichert die gesamte Gemeinschaft, denn die Ausbildungen richten sich danach, welche Dienstleistungen in der Region gerade benötigt werden.
In diesem Jahr werden nach Bedarfsanalyse zwei Ausbildungen angeboten: Schneider- und Friseurhandwerk. Ein Komitee, unter anderem bestehend aus sechs Frauen der örtlichen Kindernothilfe-Selbsthilfegruppen, hat Katie und 29 weitere junge Menschen aus der Region anhand verschiedener Kriterien ausgewählt und ihnen angeboten, an dem Programm teilzunehmen. Eine der wichtigsten Voraussetzungen: Einsatz. Denn geschenkt bekommen die jungen Menschen ihre Ausbildung nicht. BRDC kommt nur für 80 Prozent der Ausbildungskosten auf, den Rest müssen sie selbst tragen. „Als sie zu mir kamen und die Idee vorstellten, fand ich den Plan gut“, sagt Katie.
In dieser Zeit lernte sie nicht nur, wie sie Kleidung ausbessert und eigene Teile schneidert, sondern auch, wie man in der (Geschäfts-)Welt zurechtkommt. Dies bedeutet einerseits, praktische Kenntnisse, wie zum Beispiel Buchführung, zu lernen; andererseits beinhaltete die Ausbildung auch lebenspraktische Themen. Letztere sind für James Ongu, Landeskoordinator der Kindernothilfe in Uganda, besonders wichtig; vor allem junge Frauen dazu zu motivieren, sich in einer Beziehung eine gewisse berufliche Unabhängigkeit zu bewahren. „Erfolgreiche Frauen sind attraktiv für Männer, denn sie bringen Geld mit in die Beziehung. Allzu oft werden sie aber aus den Jobs gerissen, damit sie sich anschließend auf Haushalt und Familie konzentrieren können. Wir möchten, dass sie an ihre eigene Zukunft und ihr eigenes Überleben denken: ‚Was ist, wenn der Mann nicht mehr da sein sollte?‘“, so Ongu.
In den vergangenen Jahren wurden in Katies Gemeinde insgesamt 85 junge Menschen ausgebildet, davon 60 Mädchen und Frauen. Katie teilt ihre Geschichte regelmäßig mit den Folge-Jahrgängen: „Ich habe gelitten und hatte mein Leben schon aufgegeben. Jetzt bin ich selbstständig.“ Sie möchte ihnen die Hoffnung geben, die sie selbst nicht mehr hatte: „Bald seid ihr wie ich!“, sagt sie den Neuen.
Von Bananen und Biogas
Zugang zur dreijährigen landwirtschaftlichen Ausbildung bekommen momentan jedes Jahr 100 junge Menschen zwischen 13 und 19 Jahren. Bedingung ist der Abschluss der siebten Klasse sowie Zugang zu eigenem Land, das sie bestellen können. Adrian ist einer von ihnen. Seit vier Monaten ist der 13-Jährige an Bord und setzt zu Hause schon viel von dem um, was er und seine Mitschüler in der Schule lernen: In kleinen Beeten baut er Kohl, Zwiebeln und Tomaten an, pflanzt Obstbäume und züchtet Hühner. Hilfe bekommt er von seiner Mutter und den drei Geschwistern. Er ist es aber, der das Know-how mit nach Hause bringt – eine wahre Selbstbewusstseins-Spritze für den Zweitjüngsten der Familie. „Die Kinder sollen sich hohe Ziele setzen, wenn sie in die Farmschule eintreten. Von Zeit zu Zeit erinnern wir sie an ihre Ziele, wenn sie vom Weg abkommen, damit sie diese weiter verfolgen“, sagt Gorreth Nakayiwa von Kitovu Mobile. Und das tut Adrian: „In ein paar Jahren möchte ich mir eigenes Land kaufen, verheiratet sein, eine eigene Familie gründen und ein Haus bauen.“
Wir merken schnell, welche Kraft in dieser Frau steckt, denn was wir auf ihrer Farm sehen, ist beeindruckend: Rund um ihr Haus, in dem sie mit ihrer sechsköpfigen Familie wohnt, hält die Mutter von vier Kindern Hühner, Schweine, Ziegen und eine Kuh. Letztere betreibt mit ihren Hinterlassenschaften Marthas neueste Errungenschaft: die hauseigene Biogas-Anlage, die sie für das kleine Vermögen von umgerechnet knapp 600 Euro hat installieren lassen.
Wir verlassen das Grundstück und werden über ihre drei Hektar Land geführt, über Kaffeefelder und die Bananenplantage. Mit allem, was sie anbaut, macht sie pro Monat 1.000.000 Uganda-Schilling, knapp 230 Euro, Gewinn. Damit verdient sie zweieinhalb Mal so viel wie ein Lehrer. So versorgt sie neben ihrer Familie auch noch die Schwiegereltern und einen Angestellten. Insgesamt neun Leute werden durch Marthas Hof dauerhaft satt. Alles mit dem Know-how aus den Farmschulen. „Ich kehre immer wieder zurück, damit die Schüler dort von mir lernen können.“ Ein echtes Vorbild.