Kindernothilfe. Gemeinsam wirken.

"Es bedarf erhebliche Anstrengungen"

Kindernothilfe-Vorstandsmitglied Carsten Montag ist stellvertretender Vorsitzender bei VENRO, dem Dachverband der entwicklungspolitischen und humanitären Nichtregierungsorganisationen in Deutschland. Im Interview spricht er über die Bedeutung der SDGs für die Kindernothilfe, die Umsetzung sowie die globalen Herausforderungen der Ziele.
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Was sind die Sustainable Development Goals?

Die nachhaltigen Entwicklungsziele, die Sustainable Development Goals, sind ein Plan der Vereinten Nationen, um unsere Welt ein Stück besser zu machen, gerechter zu machen. Es gibt 17 Ziele, die alle Länder erreichen sollen. Die Agenda 2030 haben alle 193 UN-Mitgliedsstaaten verabschiedet, dennoch ist sie rechtlich nicht bindend.

Die SDGs, auch vielleicht ein Weltzukunftsvertrag genannt, richten ihren Fokus auf besonders benachteiligte und diskriminierte Bevölkerungsgruppen. Hierdurch soll die Welt gerechter, gesünder, friedlicher und sozialer gestaltet werden. Die SDG’s umfassen alle drei Dimensionen von Nachhaltigkeit. Soziales, Wirtschaft und Umwelt.

Wie steht die Kindernothilfe zu den SDGs?


Weil sich so viele Staaten auf die SDGs geeinigt haben, sind sie für uns und unsere Partner weltweit ein wichtiger Bezugsrahmen. Leider zeichnet die Auswertung zur Halbzeit letzten Jahres jedoch ein düsteres Bild. Die Weltgemeinschaft ist demnach weit davon entfernt, ihre selbstgesteckten Ziele im Kampf gegen Armut, Hunger und Ungleichheit zu erreichen.

Die Halbzeitbilanz zeigt, dass wir als Weltgemeinschaft bei lediglich 15% der globalen Entwicklungsziele auf dem richtigen Weg sind, bei etwa der Hälfte der Unterziele gibt es zwar Fortschritte, diese reichen aber nicht, um die SDGs bis 2030 wirklich zu erreichen. Bei mehr als 30% gibt es keine Veränderung, oder es werden sogar Rückschritte im Vergleich zu 2015 verzeichnet.

Deswegen bedarf es erheblicher Anstrengung. Wir sind weit weg von einer Welt, die in ihre Kinder investiert und in der jedes Kind, frei von Gewalt und Ausbeutung aufwächst. Dabei sind Kinder und Jugendliche zurecht entscheidende Träger des Wandels. Uns als Kindernothilfe ist wichtig, dass jedes Kind eine Stimme hat.

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Die 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung - Quelle: 2022 Engagement Global / 17ziele
Die SDGs auf einem Blick (Quelle: 17ziele.de)
Die 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung - Quelle: 2022 Engagement Global / 17ziele
Die SDGs auf einem Blick (Quelle: 17ziele.de)

Was trägt die Kindernothilfe zur Erfüllung der Ziele bei?

Als Kindernothilfe tragen wir zur Verwirklichung mit über 500 Projekten und knapp 400 Partnern zur Erreichung der Ziele bei. Wir leisten sehr konkrete Beiträge zur Verwirklichung der Kinderrechte, wir schaffen Räume, in denen Kinder und Jugendliche sich entfalten und ihre Ideen und Anliegen im Umgang mit den Herausforderungen artikulieren und einbringen können.

Das gilt genauso für uns intern, sowohl nämlich innerhalb unseres Projektgeschehens als auch in unserer politischen Arbeit. Wenn es nämlich darum geht, die Stimmen und die Perspektiven der Kinder und Jugendlichen bei Gesprächen mit Abgeordneten des deutschen Bundestages, dem Auswärtigen Amt oder dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung einzubringen.

Inwiefern hat sich die Arbeit seit der SDGs verändert? Inwiefern beeinflussen die SDGs die tägliche Arbeit und Entscheidungen der Kindernothilfe?

Die Kindernothilfe arbeitet konsequent auf der Grundlage der Kinderrechtskonvention. Unser Fokus liegt auf den 4 Kinderrechten: Schutz vor Gewalt, Schutz vor ausbeuterischer Kinderarbeit, dem Recht auf Teilhabe und dem Recht auf Bildung. Die „sustainable development goals“ sind als Weltzukunftsvertrag ein wichtiger Rahmen, um ins Gespräch zu kommen, die Arbeit, unsere Arbeit, die der Partner auszurichten und den Fortschritt zu messen.

Sie bieten damit einen Ausgangspunkt für Diskussionen, für Vernetzung in den Ländern, in denen wir tätig sind, inklusive Deutschland. Mit unseren Partnern und in den Netzwerken, wie dem Bundesverband für Entwicklungshilfe und humanitäre Hilfe „Venro“, in denen wir aktiv sind.

Auf welche konkreten Ziele konzentriert sich die Kindernothilfe?

Die Arbeit der Kindernothilfe zahlt auf viele der Ziele der SDGs ein, zum Beispiel dem ersten, der Reduzierung von Armut, aber auch kein Hunger, Gesundheit und Wohlergehen, dem vierten, der hochwertigen Bildung, aber auch der Geschlechtergleichheit, sowie menschenwürdige Arbeit, Maßnahmen zum Klimaschutz, oder Frieden, Gerechtigkeit und starken Institutionen.

Aber auch dem 17ten SDG Ziel, Partnerschaften zur Erreichung der Ziele. Darüber steht für uns, als Kinderrechtsorganisation, das Ziel, dass Kinder ein Umfeld haben, in dem sie sich bestmöglich entfalten können, im Einklang mit sich, aber auch in guter Beziehung zu den Eltern, den Mitmenschen, der Gemeinschaft in der sie Leben und im Einklang mit dem Ökosystem, der Umwelt.

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Kindernothilfe-Vorstandsmitglied Carsten Montag (Foto: Kindernothilfe)
Carsten Montag, Vorstandsmitglied bei der Kindernothilfe, spricht über die SDGs (Foto: Kindernothilfe)
Kindernothilfe-Vorstandsmitglied Carsten Montag (Foto: Kindernothilfe)
Carsten Montag, Vorstandsmitglied bei der Kindernothilfe, spricht über die SDGs (Foto: Kindernothilfe)

Welche Beispiele aus unserer Projektarbeit gibt es, die zeigen, inwiefern die Kindernothilfe die SDGs unterstützt?

Im Februar hatte ich die Gelegenheit, in Südafrika Projekte der Kindernothilfe zu besuchen. Ich habe gesprochen mit Kindern und Jugendlichen, die keine Dokumente haben, mit staatenlosen Kindern. Mit Kindern im Kontext der Straße. Gerade diese vulnerablen Gruppen haben eines gemeinsam, sie gehen oftmals nicht in die Schule, sie können nicht am Bildungssystem teilhaben.

Unser Partner unterstützt die Kinder und Jugendlichen, ermöglicht ihnen den Gang in die Schule. Für die Kinder war und ist der Partner, gerade in der Pandemie, oftmals der einzige Weg und Partner gewesen, um zu lernen. Weltweit haben heute 250 Millionen Kinder keine Möglichkeit eine Schule zu besuchen, seit 2021 ist die Zahl um rund 6 Millionen gestiegen.

Damit leisten wir, zusammen mit unseren Partnern weltweit, einen sehr konkreten Beitrag zum vierten Ziel der sustainable development goals. Das lautet „inklusive, gleichberechtigte und hochwertige Bildung gewährleisten und Möglichkeiten lebenslangen Lernens für alle ermöglichen“.

Welche politischen und sozialen Herausforderungen gibt es bei der Umsetzung der 17 Ziele?


Wir leben heute in einer Zeit, vieler Krisen und Kriege. Der Krieg in der Ukraine, Israel und Gaza, die Klimakrise, wir spüren nach wie vor die Auswirkungen der Covid-19 Pandemie. Und viele andere globale Herausforderungen gefährden die hart erarbeiteten Fortschritte bei der Verwirklichung der SDGs. Gerade die wirtschaftlich weniger entwickelnden Länder leiden nach der Pandemie unter einem nie dagewesenen Anstieg ihrer Auslandsverschuldung.

Diese Situation wird durch die Inflation, steigende Zinssätze, Handelsspannungen und eingeschränkte Kapazitäten der Staatshaushalte noch verschärft. Weltweit werden mehr Rohstoffe verbraucht, als die Erde dauerhaft zur Verfügung hat. Deutschlands Verbrauch ist im globalen Vergleich überdurchschnittlich hoch. Wenn alle Menschen so wirtschaften würden wie wir in Deutschland, bräuchten wir drei Erden. Gleichzeitig liegt in Deutschland der Anteil an Sekundärrohstoffen gerade einmal bei 13%.

Um allen Menschen und zukünftigen Generationen ein menschenwürdiges, sicheres und gesundes Leben zu ermöglichen, muss auch unsere Wirtschaft deshalb ressourcenschonender und zirkulär werden. Die Weltlage ist komplex, und dementsprechend sind auch die SDGs mit ihren 17 Zielen und 169 Unterzielen komplex. Das macht die Steuerung extrem anspruchsvoll und auch das Überprüfen sehr herausfordernd.

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Lebensrettende Unterstützung für gefährdete und betroffene Gemeinschaften in Somaliland (Foto: Kindernothilfe-Partner)
Keine Armut, kein Hunger - so lauten zwei der 17 Ziele (Foto: Kindernothilfe-Partner)
Lebensrettende Unterstützung für gefährdete und betroffene Gemeinschaften in Somaliland (Foto: Kindernothilfe-Partner)
Keine Armut, kein Hunger - so lauten zwei der 17 Ziele (Foto: Kindernothilfe-Partner)

Wenn man die SDGs aus einer dekolonialen Brille betrachtet, was sieht man dann?

Die SDGs sind zwar eine Fortsetzung der sogenannten Millenium development goals, weichen aber auch in mehrfacher Hinsicht von diesen ab. Erstens wurde bei der Entwicklung der SDGs ein breites Spektrum an Akteuren von Akteuren aus den sogenannten „Entwicklungsländern“ eingezogen, um die Eigenverantwortung der Länder zu stärken und die Ziele zu entwickeln.

Darüber hinaus sind die SDGs universell gültig und anwendbar, was bedeutet, dass auch die Industrieländer bei der Bewältigung der Entwicklungsherausforderungen, vor denen wir als Menschheit stehen, mitverantwortlich sind. Dieser Grundsatz der gemeinsamen Verantwortung, wenn auch oftmals nur in der Theorie, ist ein Versuch, mit dem kolonialen Erbe der Klassifizierung von Ländern nach westlichen Standards zu brechen.

Schließlich enthalten die SDGs miteinander verknüpfte Ziele, die die menschliche, ökologische und wirtschaftliche Dimension abdecken. Und dennoch, obwohl das Bewusstsein für die Eigenverantwortung der Länder gewachsen zu sein scheint, haben die SDGs es bisher nicht geschafft, oder zumindest nicht ausreichend geschafft, die traditionelle Geber-/Empfängerdynamiken zu verändern. So ist das koloniale Erbe, in Bezug auf Beziehungen, Mentalität und Praxis in den heutigen Entwicklungsbemühungen immer noch sichtbar.

Welche langfristigen Ziele hat die Kindernothilfe, um den Beitrag der Organisation zu den SDGs weiter zu stärken?

Als Kindernothilfe werden wir auch zukünftig unseren Beitrag leisten und gleichzeitig den weiteren Verlauf konstruktiv kritisch verfolgen. Wir werden uns weiterhin gemeinsam mit unseren Partnern weltweit engagieren und unsere und gerade die Stimmen der Kinder und Jugendlichen in den politischen Diskurs einbringen. Wir werden uns also weiterhin stark machen für eben diese Zielgruppe der marginalisierten Kinder und darin die Intersektionalität stärker sichtbar machen.

Was bedeuten die Ziele für jede und jeden persönlich? Was würden Sie sagen - wie können einzelne Personen zum Erreichen der Ziele beitragen?

Die SDGs kommen oftmals als ein sehr theoretisches Konstrukt daher. Sie sind auch in erster Linie eine Verpflichtung, die Staaten eingegangen sind. Man kann sie nach dem Prinzip der geteilten Verantwortung und Maßstäben wie Solidarität und Gerechtigkeit aber natürlich auch unterbrechen auf die institutionelle bis hin zur individuellen Ebene. Und hier können wir Verantwortung übernehmen, wir alle, indem wir Ressourcen achten achtsam einsetzen.

Wir können CO2 sparen und somit den Fußabdruck verringern. Wir können regional, saisonal und fair einkaufen und somit Akzente für Umweltschutz und soziales Wirtschaften setzen. Wir können möglichst immer ein Perspektivwechsel versuchen einzugehen und white gaze vorbeugen. Als Organisation brauchen wir Ihre Unterstützung. Ich danke Ihnen für Ihr Vertrauen in unsere Arbeit zu Gunsten der Kinderrechte zu Gunsten der Erreichung der Nachhaltigkeitsziele.


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