Zuflucht Mädchenhaus
Text: Katharina Nickoleit Fotos: Christian Nusch
Das Tumaini Centre in Meru, Kenia, gibt missbrauchten Mädchen eine sichere Zuflucht und eine Perspektive für die Zukunft. Vor allem aber finden sie hier Trost und Freundschaft.
Im Aufenthaltsraum des Tumaini Centre sitzt Rosa auf einem der abgewetzten Sofas und streicht gedankenverloren über ihren Bauch. Obwohl sie erst im 5. Monat schwanger ist, wirkt er an dem 14 Jahre alten Mädchen grotesk groß. „Ich lebte in der Familie meines Onkels, weil meine Eltern sich nicht um mich kümmern können. Eines Nachts kam mein Onkel in mein Schlafzimmer …“ Ihre Stimme bricht und ihr Blick verliert sich in der Ferne. Rosa ist eines von 20 Mädchen, die derzeit im Tumaini Centre im Norden Kenias leben. Die Jüngste ist fünf Jahre alt, die Älteste 17. Sie alle sind vor Gewalt in ihren Familien geflohen, manche vor der Verstümmelung ihrer Genitalien, andere vor extremer Vernachlässigung, doch die meisten vor sexueller Gewalt von Familienangehörigen. Vom Vater, vom Onkel, vom Cousin. Fast alle Mädchen im gebärfähigen Alter sind entweder schwanger oder haben bereits ein Kind.
Die 15-jährige Joy ist eine Ausnahme, sie entkam ihrer Familie, ohne schwanger zu werden, aber das macht ihre Geschichte kein bisschen weniger erschütternd. Sie wurde von ihrem Cousin vergewaltigt und sagte es ihrem Vater. Doch das machte alles noch viel schlimmer. „Mein Vater sagte, ich hätte seine Ehre beschädigt. Er kündigte an, er werde mich draußen im Busch aussetzen, damit ich von den Hyänen gefressen werde.“
„Das Schlimmste ist, dass die Mädchen auf die eine oder andere Weise von Menschen verraten wurden, denen sie vertrauten. Das macht die Erfahrung noch traumatischer, als sie ohnehin schon ist“, erklärt Joice Kuria des Kindernothilfepartners Ripples International, die die Mädchen psychologisch betreut. „Wenn sie hierherkommen, sind sie völlig verängstigt, manche weinen die ganze Zeit, andere bringen über viele Therapiesitzungen hinweg kein einziges Wort heraus.“
Rosa will, dass ihr Onkel verurteilt wird
Die Mitarbeiter von Ripples International bringen jeden einzelnen Fall zur Anzeige. „Für die Mädchen ist es sehr wichtig, dass die Täter verurteilt werden. Zum einen, damit sie in ihre Familien zurückkehren können, ohne befürchten zu müssen, wieder auf die Täter zu treffen. Aber auch, um Gerechtigkeit zu erfahren. Das hilft ihnen, mit dem Missbrauch abzuschließen und wieder nach vorne zu blicken.“
Eine eingeschworene Notgemeinschaft
Für die meisten Mädchen ist das Tumani Centre nur eine vorübergehenden Station. Nach Möglichkeit sollen sie zu ihren Familien heimkehren. „Wir schicken ein Mädchen erst nach Hause, wenn wir die Situation in der Familie geklärt haben und sicher sein können, dass es ihm zu Hause gut gehen wird“, erklärt Ann Muthoni, die als Sozialarbeiterin bei Ripples International arbeitet. Rosas Tante würde ihre Nichte wieder aufnehmen, und da der Onkel im Gefängnis ist, könnte das Mädchen in ein sicheres Zuhause kommen.
Doch die Tante will das Kind ihres Mannes nicht im Haus haben. Rosa weint, als sie daran denkt, sie hat das Gefühl, sich zwischen ihrem Baby und einem Zuhause entscheiden zu müssen. Trotz allem, was geschehen ist, möchte sie wie die allermeisten Mädchen ihr Kind behalten.
Die Mädchen entscheiden, was mit ihren Kindern geschieht
Die frei werdenden Plätze sind schnell besetzt, Ripples International arbeitet mit Schulen und Behörden in mehreren Countys zusammen. Joy wurde von ihrem Lehrer hierhergebracht, dem sie sich anvertraute, Risa von der Polizei, als sie Anzeige erstattete. Eigentlich wäre das Mädchenhaus groß genug, um 60 Schutzsuchende aufzunehmen. Das ist auch die Anzahl an Plätzen, die Ann Muthoni benötigt, um alle Mädchen unterzubringen, die Hilfe brauchen. Doch Ressourcen sind knapp, es fehlt an Geld, um so viele Mädchen zu versorgen. Dabei geht es nicht nur um Nahrung und Obdach, sondern auch um zusätzliche Sozialarbeiter und Psychologen, die sich um so viele Mädchen angemessen kümmern können.