Kindernothilfe. Gemeinsam wirken.

Aktion für Myanmar: Auf der Flucht sind Kinder und Mütter Übergriffen ausgesetzt. Eine Sozialarbeiterin versucht, ihnen zu helfen.

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Kinder auf der Flucht: Für ihre Rechte müssen sie kämpfen

Text: Thomas Mader, WAZ Bilder: Lars Heidrich

Mae Sot

Wenn Geflüchtete sich entschließen, von Missbrauch zu berichten, dann gehen sie zu Rund Petch. Sie leitet das „Ein-Stop-Krisenzentrum“ im Allgemeinkrankenhaus von Mae Sot in Thailand, an der Grenze zum Bürgerkriegsland Myanmar. Seit dem Militärputsch dort Anfang 2021 sind jedes Jahr bis zu 30.000 Menschen über die Grenze und durch die 200.000-Einwohnerstadt geströmt. Fast die Hälfte von Ihnen sind Minderjährige, die meisten reisen allein. Rund Petchs aktueller Fall: Eine Zwölfjährige ist missbraucht worden in einem Dorf auf der Durchreise. Der Täter wird wohl davonkommen.

In Mae Sot wollen wir den Kriegskindern aus Myanmar helfen mit unserer diesjährigen Weihnachtsaktion zugunsten der Kindernothilfe, die dort eine Schule und ein Internat unterstützt. Seit dem ersten Adventswochenende, als wir Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, das Projekt vorstellten, haben Sie bereits unglaubliche 198.000 Euro gespendet. Dafür möchten wir uns bedanken im Namen der Kinder. Aber eine Woche läuft unsere Spendenaktion noch, bis zum Samstag kommender Woche. Neben Lehrerstellen, Schulessen und Unterbringung finanziert die Kindernothilfe über ihren lokalen Partner „Rights Beyond Border“ auch Schulungen zu Kinder- und Menschenrechten. Warum dies eine sehr praktische Hilfe zur Selbsthilfe bedeutet, erklärt dieser Artikel.


Die Gesetzeslage ist unklar
Im vergangenen Jahr haben sich drei Jugendliche und Mütter Rund Petch anvertraut, die auf der Flucht Missbrauch und sexuelle Gewalt erfahren haben. „Aber das ist natürlich nur die Spitze des Eisbergs“, sagt die Sozialarbeiterin. „Auf der Flucht sind die Mütter mit ihren Kindern sehr angreifbar. Denn sie haben im Grunde keine Möglichkeit, zur Polizei zu gehen. Sie müssen befürchten, wegen illegaler Einreise verhaftet zu werden.“ Das hängt davon ab, wie die Polizei vor Ort die unklare Gesetzeslage interpretiert. 

Thailand hat die Genfer Flüchtlingskonvention nie unterschrieben, wohl aber die der Kinderrechte. Das Gastland kennt also keinen rechtlichen Flüchtlingsstatus, jeder Geflüchtete ist erstmal illegal und kann jederzeit wegen illegaler Einreise vor Gericht landen und womöglich abgeschoben werden. Das ist im Jahr 2023 tatsächlich auch mehr als 30 Minderjährigen in Mae Sot passiert – obwohl Thailand sogar eine „Absichtserklärung über Alternativen zur Inhaftierung von Kindern“ unterzeichnet hat und schon vor 20 Jahren eine pragmatische „Bildung für alle“-Politik beschlossen hat. Darum werden auch die Abschlüsse der beiden von uns unterstützten Schulen anerkannt, die von Migranten aus Myanmar für Migranten gegründet wurden.

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"Die Mütter mit ihren Kindern sind sehr angreifbar. Sie haben im Grunde keine Möglichkeit, zur Polizei zu gehen."
Rund Petch, Allgemeinkrankenhaus Mae Sot

Kinderrechte sind überlebenswichtig

Die Umsetzung der Kinderrechte funktioniert also in Thailand, vorsichtig formuliert, uneinheitlich. Hinzu kommt, dass Korruption hier nicht nur als Systemfehler erscheint. Das Leben der Flüchtlinge in der permanenten Grauzone beruht auf dem Schmierstoff Geld. Im vergangenen Jahr gab es auch eine Auswanderungswelle reicher Birmanen. Einige haben sogar Bars eröffnet – Lichterketten, Live-Musik, Live-Grillen – ganz offen, obwohl „illegale Einwanderer“ keine Genehmigung für so etwas bekommen.

Die Stimmung in Mae Sot kippe auch wegen des Verhaltens einiger reicher Birmanen, die ihre Nachbarn mit lauten Partys terrorisierten, berichtet Ampika Saibouyai, die Gründerin von „Rights Beyond Border“: „Rassismus macht sich breit. Noch gibt es keine Hassparolen, aber Flüchtlinge sind nun öfter Mobbing und Diskriminierung ausgesetzt.“ Das berichtet auch eine 16-Jährige Schülerin, die aus Myanmar flüchten musste: „Bei meiner Ankunft wurde ich von einigen Thailändern schlecht behandelt, sodass ich mich unsicher fühlte. Da wir keine richtigen Papiere haben, mache ich mir ständig Sorgen um meine Sicherheit, wenn ich die Schule verlasse.“


Die Kämpfe nehmen zu

Und das Problem wächst: Auch wenn der Krieg in Myanmar selten Schlagzeilen macht – die Kämpfe nehmen wieder zu. Das Internationale Institut für strategische Studien (IISS) hat allein im Dezember rund 600 Gefechte gezählt, fast 300 Luftschläge und 60 Minenexplosionen gezählt. Monat für Monat werden mehr Menschen in Myanmar zur Flucht gezwungen. Im Dezember waren es laut Flüchtlingshilfswerk (UNHCR) mehr als 70.000. Das summiert sich seit dem Militärputsch Anfang 2021 auf 3,3 Millionen Menschen – die meisten bleiben jedoch im Land. Hinzu kommen 4,2 Millionen vertriebene Rohingya, gegen die der Feldzug schon 2017 begann – auch hier sind die meisten Binnenflüchtlinge. Das UNHCR schätzt, dass mittlerweile ein Drittel der Bevölkerung auf humanitäre Hilfe angewiesen ist.

Viele haben nicht die Mittel, in die Nachbarländer zu gelangen, andere werden sich den oft ethnisch organisierten Rebellengruppen (und ihren Hilfsorganisationen) anschließen. Aber das Leben selbst im vielleicht fortschrittllichsten Nachbarland Thailand bietet wenig Sicherheit. Die Versorgung überlässt Thailand fast gänzlich Nichtregierungsorganisationen, selbst in den großen „provisorischen Lagern“, die in der Wildnis entlang der Grenze liegen, und in denen birmanische Geflüchtete teils seit über 30 Jahren leben ohne Aussicht auf Integration. Die meisten beschließen darum, ihr Glück in den Städten zu suchen – illegal ist man als Geflüchteter ohnehin.

Eine medizinische Grundversorgung können Geflüchtete dennoch bekommen, allerdings zahlt der Staat nur den kleineren Teil. Im Allgemeinkrankenhaus kamen im vergangenen Jahr rund 1500 Kinder von geflüchteten Eltern zur Welt – und natürlich bringen die Geflüchteten ihre Krankheiten und Beschwerden mit, was sich auf rund 1000 Patienten summiert. Aber das Krankenhaus hat nach Kämpfen an der Grenze auch 50 bis 60 Soldaten beider Seiten behandelt. Und bleibt nach all dem auf rund 1,7 Millionen Euro sitzen.

Das System ist kompliziert und widersprüchlich. Aber Rund Petch versucht, ihre geflüchteten Klientinnen zu schützen – denn unmöglich sei es nicht, Täter in Thailand zu verfolgen, erklärt sie. Es ist nur schwierig.

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