Kindernothilfe. Gemeinsam wirken.

50 Jahre Projektarbeit in Bolivien

Text: Benedicto Rojas Calvi und Gunhild Aiyub

„Aus La Paz in Bolivien erhielten wir den Antrag zur Unterstützung von 200 Schulkindern aus den Elendssiedlungen in La Paz, die in vier Zentren betreut werden. Anfang dieses Jahres konnten wir diese Patenschaften zusagen.“ Dieser Beschluss aus dem Sitzungsprotokoll Sitzung des Kindernothilfe-Beirats am 12. Februar 1974 markiert den Beginn unserer Arbeit in Bolivien.

Das „Heim 790“ war eine Einrichtung der überkonfessionellen der Partnerorganisation PROVIPAN, hinter der verschiedene Kirchen und die Heilsarmee standen. Leiterin Esther de Arias hatte einen Hilferuf nach Duisburg geschickt, auf den die Kindernothilfe positiv reagierte. Im Oktober desselben Jahres begann außerdem das Patenschaftsprogramm für 30 Kinder im Projekt "Ebenezer" in der Gemeinde Monteagudo.

Sieben Jahre später gründete die Kindernothilfe eine eigene Vertretung in Bolivien unter der Leitung der Sozialpädagogin Kristine de Marcus mit Sitz in Cochabamba. PROVIPAN wurde aufgelöst und die Projekte gingen direkt in die Verantwortung der Landes- oder Distriktkirchen über. Die Arbeit wuchs, weitere Projekte und Partner wurden aufgenommen.

Am 1. Januar 1994 entstand der Verein VASTAGOS Bolivien, geleitet von Vertretern der verschiedenen Kirchen, mit denen die Kindernothilfe in Bolivien zusammenarbeitete. Acht Jahre lang war er für die Verwaltung der Zentren und Heime zuständig.

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Zwei Kinder spielen mit Buchstabenmagneten (Quelle: Kindernothilfe-Partner)
Kindern Bildung zu vermitteln, spielte von Anfang an eine wichtige Rolle in den Projekten (Quelle: Kindernothilfepartner)
Zwei Kinder spielen mit Buchstabenmagneten (Quelle: Kindernothilfe-Partner)
Kindern Bildung zu vermitteln, spielte von Anfang an eine wichtige Rolle in den Projekten (Quelle: Kindernothilfepartner)

KNH Bolivia wird 2002 offiziell als gemeinnützige Organisation anerkannt

Im Jahr 2000 beschloss die Kindernothilfe, ihre Arbeit in Bolivien mit einem eigenen Büro fortzusetzen, das alle Projekte und Programme koordinieren sollte. Am 18. September 2002 wurde KNH Bolivia als nichtstaatliche gemeinnützige Organisation offiziell anerkannt. Damals gab es 27 Projekte, von denen 2 735 Mädchen und Jungen profitierten.

Die Hauptprogramme bezogen sich auf Bildung, Nahrung und Ernährung, Gesundheit, Einbeziehung der Kinder bei der Projektplanung und -durchführung, wirtschaftliche Produktivität, Hilfe bei Naturkatastrophen. Die Kinderrechte rückten immer weiter in den Vordergrund, besonders das Recht auf Partizipation. Überhaupt sollten alle, die durch die Projekte unterstützt wurden, befähigt werden, ihr eigenes Schicksal in die Hand zu nehmen: Kinder, Erwachsene, Familien und ganze Gemeinschaften sollten als Hauptakteure in die Arbeit einbezogen werden, damit sie selbst kreativ daran mitarbeiten konnten, ihre Lebensbedingungen zu verbessern. Sie sollten selbst ihre Probleme analysieren, Lösungsvorschläge entwickeln, in ihrem Umfeld Ressourcen suchen und einsetzen und so eigenständig ihre Probleme lösen können.

Immer wieder stellte KNH Bolivia die Arbeit auf den Prüfstand. Evaluierungen sollten zeigen, wie effektiv die Projekte wirklich waren, inwieweit sie zur Verbesserung der ganzheitlichen Entwicklung der Zivilbevölkerung beitrugen, wie effizient die Verwaltung war und ob die finanziellen Mittel ordnungsgemäß verwendet wurden. Die Landesstrategie für die Arbeit in Bolivien wurde kontinuierlich weiterentwickelt, Aktionspläne ständig an die Entwicklungen vor Ort angepasst. Daran ist seit elf Jahren auch unser Landeskoordinator Benedicto Rojas Calvi beteiligt.


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Bolivien: Benedicto Rojas Calvi, Leiter des KNH-Bolivia-Büros (Quelle: KNH Bolivia)
Unser Landeskoordinator Benedicto Rojas Calvi engagiert sich mit viel Herzblut für die ausgegrenzte Bevölkerung seines Landes  (Quelle: KNH Bolivia)
Bolivien: Benedicto Rojas Calvi, Leiter des KNH-Bolivia-Büros (Quelle: KNH Bolivia)
Unser Landeskoordinator Benedicto Rojas Calvi engagiert sich mit viel Herzblut für die ausgegrenzte Bevölkerung seines Landes  (Quelle: KNH Bolivia)

Das Engagement für ausgegrenzte Menschen als Teil des Lebensinhaltes

Benedicto Rojas Calvi, von Beruf Sozialpsychologe und ehemaliger Erzieher, wurde im Februar 2003 unser Programmberater und ist ab 2013 Landeskoordinator für Bolivien. Das Engagement und die Interaktion mit der ausgegrenzten Bevölkerung seines Landes wurde im Laufe der Zeit Teil seines Lebensinhaltes. „Die Nähe zu den am meisten gefährdeten Bevölkerungsgruppen, d. h. zu Kindern und ihren Familien in extremer Armut, hat mich bewogen, für die Kindernothilfe zu arbeiten“, sagt er. „Mich begeistern die stetigen Weiterentwicklungen in der Programmgestaltung und die täglichen Herausforderungen, die Lebensqualität von Kindern und Familien zu verbessern.“

Der 58-Jährige leitet das Kindernothilfe-Büro und sorgt für den reibungslosen Ablauf in allen Bereichen, sei es auf programmatischer, finanzieller und Fundraising-Ebene. Gemeinsam mit den Zuständigen in unserer Geschäftsstelle entwickelt er die Programmstrategie für Bolivien weiter. Er organisiert Weiterbildungen für die Mitarbeitenden der Partnerorganisationen und Projekte, die mit der Kindernothilfe zusammenarbeiten, damit sie die Strategien umsetzen können. Gemeinsam mit seinem Team begleitet er sie bei der Durchführung der Programme.


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Lourdes Cruz Sanchez von einer Kindergewerkschaft in Bolivien bei einer Kindernothilfe-Pressekonferenzter (Quelle: Christian Herrmanny)
Kindern eine Stimme zu geben, ist schon früh ein wichtiges Ziel der Projekte und Programme in Bolivien: Lourdes Cruz Sanchez ist Mitglied einer bolivianischen Kindergewerkschaft innerhalb eines Kindernothilfeprojekts; rechts Jürgen Schübelin, früherer Kindernothilfe-Referatsleiter für Lateinamerika (Quelle: Christian Herrmanny)
Lourdes Cruz Sanchez von einer Kindergewerkschaft in Bolivien bei einer Kindernothilfe-Pressekonferenzter (Quelle: Christian Herrmanny)
Kindern eine Stimme zu geben, ist schon früh ein wichtiges Ziel der Projekte und Programme in Bolivien: Lourdes Cruz Sanchez ist Mitglied einer bolivianischen Kindergewerkschaft innerhalb eines Kindernothilfeprojekts; rechts Jürgen Schübelin, früherer Kindernothilfe-Referatsleiter für Lateinamerika (Quelle: Christian Herrmanny)

Die Kinderrechte sind in Bolivien immer noch weitgehend unbekannt

„Die KNH Bolivia hat einen gewaltigen Sprung im sozialen Bereich gemacht“, sagt Benedicto. „Sie hat traditionelle Projekte und eine starke Abhängigkeit in einen Prozess der Autonomie umgewandelt hat, vor allem mit einem zentralen Fokus auf Kinder und ihre Stimme.“ Es gibt noch viel zu tun – laut Benedictos Einschätzung sind für die bolivianische Gesellschaft die Rechte der Kinder immer noch weitgehend unbekannt. Sie wurden zwar in der Verfassung verankert, ein Ministerium wurde geschaffen wie spezielle Dienststellen in den Gemeindeverwaltungen. „Diese Einrichtungen sind jedoch schwach und unbedeutend, sie haben nur geringe Ressourcen, die in keinem Verhältnis zu ihrem Auftrag und ihren Problemen stehen, wenig Kapazitäten und niedrige Gehälter“, beklagt Benedicto. Von ihnen kann man nicht viel erwarten. Organisatorisch seien es seiner Meinung nach derzeit immer noch die NGOs, die Stiftungen und Kirchen, die sich um die Umsetzung der Kinderrechte und um ihre Verankerung in der Politik kümmern. „Deshalb wird die KNH Bolivia auch weiterhin alles dafür tun, Kindern zu ihrem verbrieften Recht zu verhelfen.“
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Bolivien: Lucy Salazar, ehemaliges Patenkind, mit dem Direktor ihrer Universität (Quelle: privat)
Lucy mit dem Rektor ihrer Universität  (Quelle: privat)
Bolivien: Lucy Salazar, ehemaliges Patenkind, mit dem Direktor ihrer Universität (Quelle: privat)
Lucy mit dem Rektor ihrer Universität  (Quelle: privat)

Die Erfolgsgeschichte eines ehemaligen Patenkindes

50 Jahre ist es her, dass der Kindernothilfe-Beirat den Start der Arbeit in Bolivien beschloss. Zigtausenden Mädchen und Jungen haben die Projekte und Programme vor Ort zu einem besseren Start ins Leben verholfen. Lucy Estrella Salazar León aus Monteagudo ist eine von ihnen. Sie ist heute 34 Jahre alt und war gerne bereit, unsere Fragen zu beantworten. „Ich werde mehr als 20 Jahre meines Lebens zurückversetzt, wenn ich Ihre Fragen lese“, schrieb sie uns. „ich habe so viele schöne und schwierige Erinnerungen an meine Kindheit. Unsere wirtschaftliche und familiäre Situation war kompliziert. Bei meinem Vater war paranoide Schizophrenie diagnostiziert worden. Die Medikamente, die er einnehmen musste, waren so stark, dass er nicht arbeiten konnte. Meine Mutter versuchte Geld zu verdienen, indem sie selbst gebackenes Brot verkaufte, aber ihre Einnahmen reichten vorne und hinten nicht aus. Die Medikamente waren so teuer, dass dafür oft kein Geld da war. Aber wenn mein Vater seine Medizin nicht bekam, geriet er völlig außer Kontrolle. Er schlug meine Mutter und fing Streit mit allen Nachbarn und Bekannten an – wir haben dann immer tagelang unter seinen Ausbrüchen gelitten. Eines Tages erzählte eine Bekannte meiner Mutter von dem Ebenezer-Projekt. Sie wusste, dass ich eine gute Schülerin war und man mich dort fördern konnte.
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Bolivien: Lucy Estrella Salazar Leon, ein ehemaliges Patenkind (Quelle: privat)
Dank der Projektförderung durch die Kindernothilfe hat Lucy Estrella Salazar León heute einen Beruf, einen guten Job und kann mit ihrem Verdienst auch noch ihre Familie unterstützen (Quelle: privat)
Bolivien: Lucy Estrella Salazar Leon, ein ehemaliges Patenkind (Quelle: privat)
Dank der Projektförderung durch die Kindernothilfe hat Lucy Estrella Salazar León heute einen Beruf, einen guten Job und kann mit ihrem Verdienst auch noch ihre Familie unterstützen (Quelle: privat)

„Es war ein großer Segen, in die Projekte aufgenommen zu werden“

Lucy wurde im Jahr 2000 in das Projekt "Ebenezer" aufgenommen, schloss sieben Jahre später die Sekundarschule ab und setzte bis zum Jahr 2012 ihre Ausbildung im Projekt AYNI-SUCRE fort. Anschließend studierte sie an der Universität öffentliches Rechnungswesen. „Es war ein großer Segen, in die beiden Projekte aufgenommen zu werden, denn so konnte ich meine Schulausbildung abschließen. Mein einziges Ziel war, einen Beruf zu erlernen, um meine Mutter bei der Krankheit meines Vaters und meine Geschwister unterstützen zu können."

Lucy bekam nach dem Studium einen Job in ihrer Heimatstadt Monteagudo. Heute arbeitet sie in der Banco Fie S.A. als Kreditreferentin. Alle ihre Geschwister haben inzwischen eine Arbeit. Dank ihrer Position kann sie etwas von der Hilfe, die sie selbst erfahren hat, zurückgeben. Als sie vom Projekt gefragt wurde, ob sie Reparaturarbeiten finanziell unterstützen könnte, hat sie das gerne getan. „Und ich habe Familienangehörige wie Onkel und Cousins, die sich in einer schlechten wirtschaftlichen Lage befinden. Ich versuche ihnen zu helfen, so gut ich kann. Mir geht es heute sehr gut, ich bin gesund, ich habe einen Job, eine Familie, und meine Eltern freuen sich über ihre finanziell unabhängigen Kinder. Ich bin Gott sehr dankbar!“


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Gunhild Aiyub (Quelle: Jakob Studnar)
Gunhild Aiyub ist seit 1986 Redakteurin bei der Kindernothilfe und zuständig für die Kindermedien, den Jahresbericht und das Kindernothilfe-Magazin. 
    

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