Kindernothilfe. Gemeinsam wirken.

Burundi: Ein Plan für die Zukunft

Text: Katharina Nickoleit Bilder: Christian Nusch

Fünfjahrespläne kennt man normalerweise von Regierungen. In Burundi arbeiten auch Frauen in gemeindebasierten Spar- und Kreditgruppen erfolgreich mit dieser Strategie. Sevella Uwamahoro hat ihre Ziele nach oben geschraubt: Sie will am Ende 100 Bäume und eine Wasserleitung bis zum Haus haben!

Die grob verputzte Lehmwand des kleinen Zimmers von Sevella Uwamahoro ist der Länge nach mit Papier bedeckt. Häuser und Felder sind darauf gezeichnet, Tabellen halten Daten und Fakten fest. „Das ist unser Plan. Hier stehen all unsere Ziele und wie wir sie erreichen werden“, sagt sie. „Ich habe ihn bewusst hier aufgehängt, so werde ich jedes Mal, wenn ich das Haus betrete, daran erinnert und verliere ihn nicht aus den Augen.“

Sevella Uwamahoro ist 44 Jahre alt und Mutter von sieben Kindern. Ihr Mann arbeitet als Schreiner, meistens ist er irgendwo auf Montage, deshalb ist sie den größten Teil der Zeit mit den Kindern allein. „Das Geld, das mein Mann mir schickt, reicht nicht, um alle satt zu kriegen. Wir hatten oft nur einmal am Tag zu essen.“

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Mehr als die Hälfte der Kinder hungert

Burundi ist eines der ärmsten Länder der Welt. Die Bevölkerung wächst schnell, das Durchschnittsalter liegt unter 16 Jahren. Egal wohin man kommt, sofort ist man von einer ständig wachsenden Zahl von Kindern umringt. Vielen von ihnen ist die Unterernährung auf den ersten Blick anzusehen: spindeldünne Arme und Hungerbäuche. Mehr als die Hälfte der burundischen Kinder hungert. Mit jeder neuen Generation werden die vererbten Felder noch kleiner, hinzu kommt der Klimawandel, der die Ernährungssituation zusätzlich verschärft.

Wer dieser ausweglos erscheinenden Situation entkommen will, braucht einen Plan. Einen wie den der Familie Uwamahoro. „Zuerst haben wir eine Bestandsaufnahme gemacht. Wer sind wir? Was wollen wir erreichen? Welche Fähigkeiten haben die einzelnen Familienmitglieder, die uns helfen, das zu schaffen?“ Die 44-Jährige zeigt auf die Zeile, in der es um sie geht. Dort steht „Landwirtschaft und Verkaufen“.

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Eine Frau hält ein meterlanges bemaltes Blatt Papier in der Hand (Quelle: Christian Nusch)
Sevella hat aufgemalt, wie sie sich ihr Leben in fünf Jahren vorstellt (Quelle: Christian Nusch)
Eine Frau hält ein meterlanges bemaltes Blatt Papier in der Hand (Quelle: Christian Nusch)
Sevella hat aufgemalt, wie sie sich ihr Leben in fünf Jahren vorstellt (Quelle: Christian Nusch)

Die Zukunft hängt auf Papier an der Wand

Die Familie hat sich diese Strategie nicht selber ausgedacht. Eingeführt hat sie der Kindernothilfepartner Help Channel Burundi. Nicht nur bei Sevella Uwamahoro, sondern bei allen 3200 Mitgliedern der 160 von der Organisation gegründeten "gemeindebasierten Spar- und Kreditgruppen". Eine davon entstand in ihrem Dorf Gazenyi, etwa eine Autostunde nördlich der Hauptstadt Bujumbura. Sie war eine der ersten, die sich in die Mitgliederliste eintrug. „Als die Sozialarbeiter in unser Dorf kamen und fragten, wer Interesse daran hätte, sich in Gruppen zusammenzuschließen, in denen sich alle Mitglieder gegenseitig helfen, war ich sofort dabei.“

Auch die Ziele des Familienplans wurden notiert. Ganz oben auf der Liste: Alle sollen satt werden und die Kinder sollen zur Schule gehen. Außerdem wünscht sich Familie Uwamahoro ein neues Haus, nicht aus Lehm, sondern fest gemauert. Weil das im ländlichen Burundi wirklich große Vorhaben sind, legte die Familie schneller erreichbare Zwischenziele fest: bessere Ernten und mehr Einkommen. Zu verwirklichen, wenn einige Unterziele erreicht werden: neue Methoden beim Feldanbau, die Anschaffung von Ziegen und die Errichtung eines kleinen Restaurants. All das ist in Zeichnungen an der Wand festgehalten.

Ziele formulieren ist eine Sache, sie zu erreichen eine andere. Welche Hindernisse und Probleme auf ihrem Weg zu bewältigen sind, hat Sevella Uwamahoro ebenso auf ihrem Plan vermerkt wie Chancen und Lösungsmöglichkeiten.

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Der Vorteil einer Gruppe: gemeinsam reden, sich ermutigen, sich freuen und lernen

Unter diesen Spalten taucht auf Sevellas Uwamahoro Wand ein Begriff immer wieder auf: die gemeindebasierte Spar- und Kreditgruppe. Sie ist der Schlüssel. Nicht nur, weil sich die Frauen hier untereinander austauschen, einander Mut zusprechen und sich gemeinsam über erste Erfolge freuen, sondern auch, weil es hier ganz handfeste Hilfsangebote gibt. Eine davon ist die Beratung durch Maman Lumière. Das ist noch mal eine ganz eigene Geschichte.

Genauso wichtig ist der Agraringenieur Jackson Cizanye. „Die Idee, einen Küchengarten anzupflanzen, kam von Help Channel Burundi. Jackson hat mir dabei geholfen, sie umzusetzen. Von ihm habe ich gelernt, wie ich ihn anlege und welche Pflege er braucht“, erinnert sich die Burundierin an das erste Projekt ihres großen Plans.

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Ein Mann erklärt einer Frau etwas in ihrem Garten neben dem Haus (Quelle: Christian Nusch)
Jackson Cizanye besucht die Haushalte regelmäßig und überprüft die Fortschritte. Mit Sevella Uwamahoros Küchengarten ist er recht zufrieden. (Quelle: Christian Nusch)
Ein Mann erklärt einer Frau etwas in ihrem Garten neben dem Haus (Quelle: Christian Nusch)
Jackson Cizanye besucht die Haushalte regelmäßig und überprüft die Fortschritte. Mit Sevella Uwamahoros Küchengarten ist er recht zufrieden. (Quelle: Christian Nusch)
Bei seinen Empfehlungen ist Jackson Cizanye ganz klar: Nachhaltige Landwirtschaft ist das einzig Sinnvolle. „Bioanbau spart die Ausgaben für teuren Kunstdünger und schont den Boden. Auf den Boden zu achten, ist das Wichtigste überhaupt. Wenig pflügen, Kompost anlegen und ausbringen, Mist zum Düngen, Fruchtfolgen beachten“, fasst er die wichtigsten Ratschläge zusammen.
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„Alles, was wir brauchen, wächst in unserem Garten“

Um den Folgen der Klimaerhitzung zu begegnen, braucht es noch mehr. „Wir spüren die Veränderungen des Klimas deutlich und müssen lernen, damit umzugehen.“ Manchmal kommt der Regen zu spät, dann verdorren die Felder. In der Provinz Cibitoke, wo Familie Uwamahoro wohnt, ist aber eher zu viel Regen das größere Problem. Die Regenfälle sind oft so heftig, dass das Wasser die fruchtbare Erde davonträgt. „Auf den Feldern auch Bäume zu pflanzen, hilft, die Erosion zu vermeiden. Genauso wie Bodendecker mit großen Blättern oder Zweige und Mulch auszulegen.“

Um sicherzugehen, dass die Gruppenmitglieder seine Empfehlungen richtig umsetzen, besucht Jackson Cizanye die einzelnen Haushalte regelmäßig. Mit Sevella Uwamahoros Küchengarten ist er recht zufrieden. Sie hat einen Komposthaufen angelegt und Baumsetzlinge gepflanzt. Aber sie soll die Erde noch etwas besser abdecken.

Für die 44-Jährige ist der Küchengarten der erste wichtige Schritt bei der Erreichung ihrer Ziele. „Ich baue jetzt Zwiebeln, Auberginen, Tomaten, Amarant, Knoblauch und Mangos an und kann meine Kinder gut und vielseitig ernähren. Und das, ohne dafür Geld ausgeben zu müssen! Alles, was wir brauchen, wächst in unserem Garten.“

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In Spar- und Kreditgruppen bekommen auch arme Frauen ein Darlehen

Der zweite wichtige Punkt, den die Spar- und Kreditgruppe bietet, ist der Zugang zu Krediten. Es gibt zwar Banken und Mikrofinanzinstitutionen in der Gemeinde. Aber eine Mutter von sieben Kindern, die um ihren Lebensunterhalt kämpft, kann von ihnen keinen Kredit erhalten – sie verlangen hohe Kreditsicherheiten, die sich die Frauen auf dem Land nicht leisten können. Bestenfalls könnte sie sich an private Geldverleiher wenden, aber die fordern Wucherzinsen, die weit über dem liegen, was in Deutschland legal ist. Doch der Zugang zu Darlehen für Investitionen ist auch für arme Menschen wichtig. Deshalb ist eine Spar- und Kreditgruppe die beste Alternative.

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Frauen sitzen im Kreis auf dem Boden, in der Mitte eine große Metallkassette (Quelle: Christian Nusch)
In diese große Geldkassette zahlen die Frauen bei jedem wöchentlichen Treffen ihre Geldbeträge ein (Quelle: Christian Nusch) 
Frauen sitzen im Kreis auf dem Boden, in der Mitte eine große Metallkassette (Quelle: Christian Nusch)
In diese große Geldkassette zahlen die Frauen bei jedem wöchentlichen Treffen ihre Geldbeträge ein (Quelle: Christian Nusch) 
Wie bei jedem der wöchentlich stattfindenden Treffen zahlen auch heute in Gazenyi alle Mitglieder ihren Sparbeitrag in die Gemeinschaftskasse ein. Manche können nur ein paar Cent erübrigen, einige wenige auch einen halben Euro. Die Buchhalterin notiert alle Einzahlungen in einem großen Heft. Wer nichts hat, muss nichts einzahlen, bekommt aber auch, wenn das zu oft vorkommt, keinen Kredit. Neben dem Beitrag für die Spargruppe zahlt jedes Mitglied einen kleinen, in Eurocent nicht messbaren Betrag in eine Notfallkasse. Bei einer Geburt gibt es aus diesem Fonds Geld für zusätzliches Essen für die Mutter oder bei Krankheit für Medizin.
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Zwei Frauen sitzen auf dem Boden, eine gibt der anderen ein Bündel Geldscheine (Quelle: Christian Nusch)
„Das Gute an der Gruppe ist, dass ich nun eine Möglichkeit habe, Geld anzusparen und um einen Kredit zu bekommen. Wir lernen außerdem bessere Anbaumethoden. All das hilft mir, mich besser um meine Familie zu kümmern.“ (Quelle: Christian Nusch)
Zwei Frauen sitzen auf dem Boden, eine gibt der anderen ein Bündel Geldscheine (Quelle: Christian Nusch)
„Das Gute an der Gruppe ist, dass ich nun eine Möglichkeit habe, Geld anzusparen und um einen Kredit zu bekommen. Wir lernen außerdem bessere Anbaumethoden. All das hilft mir, mich besser um meine Familie zu kümmern.“ (Quelle: Christian Nusch)

Sevella Uwamahoro will eine Garküche eröffnen

Heute ist Sevella Uwamahoro an der Reihe, sich aus dieser Gemeinschaftskasse Geld zu leihen. Es ist nicht ihr erster Kredit, sie hat mit einem früheren Darlehen bereits Ziegen angeschafft. Das war eine Empfehlung von Jackson Cizanye, die Tiere sind ausgezeichnete Düngerlieferanten. Diesmal geht es um ihr neues Vorhaben. Mit einer Garküche will sie ihre bislang brachliegende Fähigkeit als gute Verkäuferin nutzen. „Ich habe mir umgerechnet 30 (nach Straßenkurs eher 12) Euro geliehen. Davon werde ich Reis und Bohnen kaufen und daraus Mahlzeiten zubereiten, die ich verkaufe. Das wird ein zusätzliches Einkommen, mit dem ich Schulsachen für die Kinder kaufen kann.“

Das Angebot, einer Spar- und Kreditgruppe beizutreten, war zu Beginn des Projektes für alle Frauen im Dorf offen. Manche entschiedenen sich dagegen, weil die vielen Treffen sie abschreckten. Andere traten bald wieder aus. Sie hatten gehofft, dass es hier schnelles Geld gäbe. Doch nun, wo sie sehen, dass es ihren Nachbarn besser geht als früher, bedauern sie es, nicht mitgemacht zu haben. Mittel aus dem Projekt gibt es dafür zwar nicht, aber manche bilden nun eigene Gruppen und versuchen, den Erfolg zu wiederholen.

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Eine Frau sitzt vor ihrem Haus und hält lachend ihr Baby im Arm, hinter ihr stehen ein paar Ziegen (Quelle: Christian Nusch)
"Früher hatte ich keine Möglichkeit, einen Kredit zu bekommen. Die Spargruppe hat das verändert, jetzt muss ich mir keine Sorgen mehr machen, wenn ich Geld brauche."
Eine Frau sitzt vor ihrem Haus und hält lachend ihr Baby im Arm, hinter ihr stehen ein paar Ziegen (Quelle: Christian Nusch)
"Früher hatte ich keine Möglichkeit, einen Kredit zu bekommen. Die Spargruppe hat das verändert, jetzt muss ich mir keine Sorgen mehr machen, wenn ich Geld brauche."

100 Bäume, Kühe, ein Motorrad und eine Wasserleitung zum Haus

Vor ein paar Wochen wurde Zwischenbilanz gezogen. Gemeinsam mit den Sozialarbeitern des Kindernothilfepartners analysierten die Frauen, wo sie mit ihren Plänen stehen. Ob sie auf Kurs sind oder irgendwo zusätzliche Unterstützung brauchen. Sevella Uwamahoro ist mit dem, was sie bislang erreicht hat, sehr zufrieden. „Wir haben inzwischen vier Ziegen und konnten etwas Land mit Mangobäumen darauf kaufen. Es gibt drei Mahlzeiten am Tag, und die größeren Kinder gehen zur Schule. Und jetzt geht auch mein Straßenimbiss an den Start“, fasst sie stolz ihre Bilanz der ersten zwei Jahre zusammen. Es ist so gut gelaufen, dass sie die Ziele für das Ende des Fünfjahresplans sogar hochgesetzt hat. Ihre Zeichnung enthält nun auch 100 Bäume, Kühe, ein Motorrad und eine Wasserleitung zum Haus.

„Wenn alle es so machen würden wie wir in der Selbsthilfegruppe, dann könnte das hier ein richtig schönes Dorf werden“, meint sie. „Deshalb erzählen wir unseren Nachbarn weiter, was wir gelernt haben, damit sie wissen, was es braucht, um Erfolg zu haben und sich aus der Armut zu befreien.“

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Über die Autorin

Katharina Nickoleit interviewt ein Mädchen in einem kenianischen Schutzhaus (Quelle: Christian Nusch)
Katharina Nickoleit
ist freie Journalistin und berichtet mit ihrem Mann, demFotografen Christian Nusch, seit vielen Jahren aus unseren Projekten in allerWelt.

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