Hilfe für Kinder aus Myanmar
Dieses Gedicht schrieb ein Flüchtlingskind für die erste Liebe
Text: Thomas Mader (Reporter Rhein-Ruhr) Bilder: Lars Heidrich
Mae Sot. Mit zwölf Jahren musste Min aus Myanmar fliehen. Doch seine neue Schule inspiriert ihn. Sein jüngstes Werk ist ein Liebesgedicht.
„Die Welt ist wunderschön / Aber sie findet keinen Frieden.“
So einfach diese Feststellung sein mag – es ergreift uns, als Min* sein Gedicht vorträgt. Er ist ein Kriegskind aus Myanmar, lebt in der Fremde, in Thailand. Der 14-Jährige gilt als Poet seiner Schule und sitzt nun in seinem besten Hemd auf rohen Brettern unter einem Schattenbaum. Er schlägt sein Heft auf und sucht in den verschlungenen Glyphen der birmanischen Schrift nach seinem Gedicht. Nur selten hat Min etwas durchgestrichen oder korrigiert. Offenbar überlegt er sich genau, was er schreibt – Papier ist kostbar.
Er fasst sich, drückt die nackten Füße gegen die gestampfte Erde des Schulhofs. Dann rezitiert Min so ernsthaft, dass man versteht: In diesen zwei Zeilen wollte er die Essenz seines Lebens fassen.
Schönheit ohne Frieden! Das ist so verdichtet, dass es zur Dichtung wird.
Wie alle seine Mitschüler kommt Min aus Myanmar, wo das Militärregime seit drei Jahren Krieg gegen die eigenen Bürger führt. Wo es seit jeher Minderheiten drangsaliert. Wo Milizenführer mit der chinesischen Mafia gigantische Bürokomplexe bauen, in denen Sklaven zu Online-Betrug geknechtet werden. Min ist zwischen all diesen Schrecken aufgewachsen und seine Eltern schlagen sich noch immer als Tagelöhner durch diese instabile Welt. Vor zwei Jahren haben sie Min fortgeschickt, damit er sicher aufwächst.
Im thailändischen Grenzort Mae Sot hat der damals 12-Jährige Zuflucht gefunden in einem Internat, das von Geflüchteten für Geflüchtete geschaffen wurde. Diese und eine weitere Schule wollen wir mit unserer WAZ-Weihnachtsaktion unterstützen. Vom thailändischen Staat bekommen diese „Migrant Learning Centers“ keinen Baht, aber die Abschlüsse werden anerkannt. Für Schüler, die die Zentralprüfungen schaffen, steht sogar der Weg zur höheren Bildung offen – mit Hilfe Ihrer Spenden, liebe WAZ-Leserinnen und -Leser.
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„Hier werde ich gefördert“
Die Kindernothilfe mit Sitz in Duisburg kümmert sich bereits seit Jahren über ihren lokalen Partner „Rights Beyond Border“ um diese Schulen der Selbsthilfe. Aber weil sich die Schülerzahlen verdreifacht haben durch den Zustrom der Geflüchteten, reichen die Budgets vorne und hinten nicht mehr. Dennoch schaffen die Lehrer es, die Schüler seelisch zu unterstützen und sogar zu inspirieren.
In Myanmar ist Min gemobbt worden für seinen Feinsinn. „Hier werde ich gefördert“, sagt er. Die Lehrer nehmen ihn ernst und vielleicht darum auch seine Kameraden. Er liest den Freunden und Freundinnen in den Pausen seine Gedichte vor – und, so hören wir, erreicht damit ihre Seelen.
„Wenn ich mich nicht wohl fühle“, sagt Min, „dann schreibe ich, das hilft mir. Oft ist das abends, wenn die Jüngeren schlafen und wir Älteren unsere Hausaufgaben unter den Solarlaternen machen. Ich wache aber auch mitten in der Nacht auf und notiere im Dunkeln meine Gedanken.“ Min teilt sich die 1,20 Meter breite Matratze mit einem Schulkameraden, im Schlafsaal sind sie fast 30 Kinder und Jugendliche. Dicht an dicht liegen sie auf dem Boden und versuchen jeder für sich, ihr neues, erzwungenes Leben zu fassen.
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Sie sind ja alle verwundet, über ein Drittel leidet unter ausgeprägten Angststörungen. Einige bekommen auch psychologische Unterstützung, organisiert von „Rights Beyond Border“. Andere wie Mins Klassenkamerad Nay* verarbeiten ihre Traumata anders. Er kommt aus einem Mittelzentrum in Myanamar, die Mutter putzt, der Vater repariert Dinge. Vor drei Jahren wurde dort das erste Mal scharf geschossen und die Familie zerstreute sich in drei Länder. Die drei minderjährigen Geschwister landeten in Mae Sot. „Aber ich sorge mich jeden Tag um meine Eltern“, sagt Nay. Die Lehrer lassen ihn oft malen. Das hat sich für viele Kinder als hilfreiches Ventil erwiesen. Nays letztes Bild zeigt einen Luftangriffe, Rauch und Flammen. „Er ist wütend“, sagt eine Lehrerin. „Er denkt an Vergeltung.“ Und Min schreibt Gedichte.
„An diese flüchtige Wirklichkeit / Möchte ich nicht klammern / An was Du dich bindest / Du wirst es verlieren.“
Das sind Mins erste Zeilen gewesen. Er hat das Gedicht noch in Myanmar geschrieben, als sein Großvater starb. „Ist das buddhistisch geprägt?“, fragen wir ihn. „Im Sinne von: Du sollst dem Leben nicht anhaften?“ – Er sei Christ, antwortet Min. „Ich schreibe nur auf, wie ich selbst das Leben erfahre.“
Die erste Liebe
Und er erlebt es nicht nur düster. Die Welt ist wunderschön. Min ist das erste Mal verliebt. Es muss schon eine besondere Schule sein, ein Ort des offenen Denkens, in der sich ein junger Dichter in den Kreis seiner Schulkameraden stellen kann, um sein neuestes Gedicht, ein Liebesgedicht vorzutragen. Und keiner gibt einen blöden Spruch. Alle nicken oder klatschen oder beglückwünschen ihn.
„Ist meine Liebe dein / Und bin ich aufrichtig / Soll dies deine Blume sein / Für immer für dich.“
Und wie hat sie reagiert? – Jetzt pressen wir den schüchternen Min etwas. Aber dann sagt er ganz leicht: „Ich glaube, sie hat verstanden, dass es für sie war. Sie hat so wissend gelächelt.“
*Alle Namen sind zur Sicherheit der Jugendlichen geändert.
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