"Kinder werden mal angehört, aber das hat oft Pseudocharakter"
Text: Annette Kuhn Bilder: Kindernothilfe, Ben Mangelsdorf
Kinder leiden am meisten unter den Folgen der Klimakrise, haben aber am wenigsten Einflussmöglichkeiten. Klimapsychologin Lea Dohm zeigt im Interview neue Wege der Partizipation auf und erklärt, wieso das sogar Spaß machen kann – auch Erwachsenen.Wie dringlich die Auseinandersetzung mit der Klimakrise ist, ist schon durch die Häufung extremer Wetterereignisse sichtbar. Dennoch tun viele Menschen den Klimawandel als weniger wichtig ab oder verdrängen ihn. Lässt das Interesse für dieses Thema trotz aller Dringlichkeit nach?
Lea Dohm: Ich sehe nicht, dass das Engagement nachlässt, es hat sich in den vergangenen Jahren nur geändert. Heute sind mehr Menschen in Institutionen oder am eigenen Arbeitsplatz aktiv. Oder sie schließen sich in Gruppen zusammen, um Klimaschutz voranzubringen.
Aber klar ist auch: Es gibt gerade viele Belastungen gleichzeitig in der Welt. Manche Menschen haben einfach nicht die Kapazität, sich für den Klimaschutz zu engagieren. Gerade deshalb brauchen wir niedrigschwellige Zugänge.
Wieso ist es leichter, sich in Gruppen oder Institutionen zu engagieren?
Die allermeisten Menschen beginnen damit, etwas im eigenen Leben zu verändern: Essensgewohnheiten umzustellen, auf öffentliche Verkehrsmittel umzusteigen oder auf eine Flugreise zu verzichten. Das ist auch aller Ehren wert, aber dann stellen sie fest, dass sich gar nichts verändert, obwohl sie sich einschränken. Die Klimakrise lässt sich damit nicht lösen. Das heißt, die Menschen erleben wenig Wirksamkeit. Das ist anders, wenn sich die Menschen verbinden, wenn sie gemeinsam etwas umsetzen. Das ist keine komische Öko-Bubble, sondern das sind ganz normale Leute, die sich beispielsweise dafür engagieren, dass ihre Kinder eine bessere Zukunft haben. Und es macht auch zusammen mehr Spaß.
Auswirkungen der Klimakrise verletzen Kinderrechte auf Gesundheit und Teilhabe
Worauf kommt es dabei
an?
Jeder bringt das ein, was er am besten kann. Bei mir war es
zum Beispiel naheliegend, dass ich das Thema Klima mit Psychologie verbinde.
Und so ist es bei den allermeisten Menschen: Sie sind Experten auf einem
Gebiet, oder sie wissen genau, was sich am eigenen Arbeitsplatz oder an Orten,
wo sie sich gern aufhalten, verändern müsste. Dort den Hebel anzusetzen, ist
viel wirksamer als allein in den eigenen vier Wänden. Eine unterschätzte
Möglichkeit sind auch Bürgerenergiegenossenschaften.
Wie funktionieren
die?
Das sind Gruppen, die sich für eine ökologische
Energiegewinnung starkmachen, die konzernunabhängig ist. Also: Wenn ich mir ein
Solarpanel aufs Dach setze, bringt das noch nicht viel, und wenn ich in einer
Wohnung in einem Mehrfamilienhaus wohne, kann ich das zum Beispiel auch gar
nicht. Aber wenn sich Menschen in einer Region in einer
Bürgerenergiegenossenschaft zusammentun, kann jeder mitmachen. Jeder zahlt
etwas ein, und die Genossenschaft rüstet mit diesem Kapital das Dorf um. Das
spart oft viel Geld, die Energiewende kommt in Bürgerhände, und sie kommt auch
schneller voran. Außerdem gibt es Ansteckungseffekte: Ein Dorf fängt an,
weitere Dörfer ziehen nach. Und es lassen sich eher Menschen für diese Idee
gewinnen, die bislang vielleicht noch skeptisch gegenüber Windkraft oder
Fotovoltaik waren.
Klingt perfekt, auf
den Zug müsste doch jeder aufspringen. Wieso ist das nicht der Fall? Wie
erklären Sie das als Psychologin?
Wir müssen erst mal den Default-Effekt austricksen. Der
besagt: Wenn wir verschiedene Möglichkeiten haben, entscheiden sich Menschen am
liebsten für die, bei denen sie möglichst wenig verändern müssen, wo alles
bleibt, wie es ist, also die Voreinstellung (Default). Damit fühlen sie sich am
sichersten. Das ist mit Blick auf das Klima aber ein großes Problem, denn da
kann nicht alles bleiben, wie es ist. Deswegen müssen wir konstruktive,
kleinschrittige gute Handlungsmöglichkeiten anbieten, die für möglichst viele
Leute machbar sind. Das holt sie auch am ehesten aus einer Trägheit heraus oder lässt sie Blockaden und Angst am besten überwinden.
Wie ist das bei
Kindern: Die Klimakrise gehört zu den größten Ängsten von Kindern und
Jugendlichen. Wieso ist das gerade bei ihnen so ausgeprägt? Wir müssten oder
sollten uns doch genauso sorgen?
Bei Kindern und Jugendlichen verdichtet sich das alles, und
sie haben weniger Möglichkeiten, ihre Gefühle zu regulieren oder zu verdrängen.
Das können Erwachsene viel besser. Aber tatsächlich leiden Kinder am meisten
unter den Folgen: Sie haben am wenigsten zur Klimakrise beigetragen, sind aber
auf Lebenszeitperspektive am allermeisten betroffen. Damit meine ich nicht nur
die unmittelbaren Gefahren, sondern auch Langzeitfolgen zum Beispiel nach
extremen Wetterereignissen. Wir wissen zum Beispiel, dass die Zahl der
emotionalen Störungen bei Kindern auch noch ein halbes Jahr nach der
Ahrtalkatastrophe enorm gestiegen ist. Bei der Klimakrise handelt es sich um
eine chronische Kindeswohlgefährdung. Außerdem werden Kinderrechte massiv
verletzt.
Wie das?
Kinder sind in vielerlei Hinsicht vulnerabler. Zum Beispiel können sich ihre Körper auf Hitze noch nicht so gut einstellen, und sie dehydrieren eher. Das Recht auf Gesundheit wird also verletzt. Dazu kommen die sozialen und psychischen Risiken. Verletzt wird auch ihr Recht auf Teilhabe. Kinder haben viel weniger Handlungsmöglichkeiten im Umgang mit der Klimakrise. Dabei wissen wir aus psychologischer Sicht, dass das wiederum wichtig für die Gesunderhaltung ist. Wir brauchen also unbedingt mehr echte Beteiligungsmöglichkeiten für Kinder und Jugendliche.
Mitsprache von Kindern bei Klimafragen stärkt auch ihre Demokratiefähigkeit
Was meinen Sie mit
„echten“ Beteiligungsmöglichkeiten?
Kinder werden mal angehört, aber das hat oft nur einen
Pseudocharakter, denn am Ende haben sie doch kein Mitspracherecht. Ihre
Bedürfnisse müssen aber ernstgenommen werden, und sie müssen gesellschaftliche
Abläufe mitbestimmen können, denn es geht ja vor allem um ihre Zukunft. Daher
finde ich auch die Diskussion um ein Kinderwahlrecht hochberechtigt. Das würde
auch ihre Demokratiefähigkeit stärken. Denn, ein letzter Satz noch dazu: Weil
Kinder und Jugendliche besonders gefährdet sind und gleichzeitig so wenig
Handlungsmöglichkeiten haben, wundert es mich nicht, dass bei vielen jungen
Menschen das Bedürfnis nach vermeintlich einfachen Lösungen wächst und auch die
Hinwendung zu Parteien so groß ist, die solch vermeintlich einfache Lösungen
versprechen.
Was muss daraus
folgen, um Kinder besser zu schützen?
Wir brauchen viel mehr Prävention. Mit Blick auf die
zunehmenden Extremwetterereignisse werden wir die wachsenden Belastungen nicht
einfach wegtherapieren können. Ich sehe die Schule hier als wichtigen Ort.
Klimafragen müssen stärker und vor allem fächerübergreifend behandelt werden.
Es braucht mehr Anknüpfungspunkte und Handlungsmöglichkeiten. Und ansonsten
gilt auch hier das Recht auf Partizipation: Wir sollten die Kinder selbst
befragen, was sie brauchen, was sie sich wünschen. Meine Tochter gibt gerne
Interviews!
Und noch etwas: Wir haben auch als Erwachsene eine
Verantwortung, voranzugehen und etwas zu tun, um Kinder zu schützen und
Kinderrechte zu stärken. Deswegen ärgert es mich, wenn man jetzt kritisiert,
dass die Jugendbeteiligung bei Fridays for Future nachgelassen hat. Aber ist es
nicht unser aller Aufgabe, für einen besseren Klimaschutz zu demonstrieren? Das
können wir doch nicht auf Jugendliche abschieben.