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11.03.2021
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Wann endet der Krieg in Syrien?

Von einem Kind gemaltes Bild über den Krieg (Quelle: Kindernothilfe)
Zeichnung über den Krieg (Quelle: Kindernothilfe)
Von einem Kind gemaltes Bild über den Krieg (Quelle: Kindernothilfe)
Zeichnung über den Krieg (Quelle: Kindernothilfe)

Zehn Jahre Krieg in Syrien, das sind zehn Jahre Gewalt und Sterben, Flucht und Vertreibung. Viele syrische Kinder kennen nichts anderes als das. Aber was heißt das eigentlich für die Betroffenen? Und warum dauert die Gewalt immer noch an?

Es sollten heitere Spiele werden. Als Deutschland 1972 zu den Olympischen Spielen nach München einlud, war ich fast elf. Dank der Spiele genoss ich als Münchner Schülerin extra verlängerte Sommerferien und erlebte erstmals die weite Welt zu Gast in meiner Stadt.

Und die hatte sich ganz schön herausgeputzt! Unter dem atemberaubenden Zeltdach des Olympiastadions verfolgten hunderttausende Besucher:innen, was ich zappelig am heimischen Fernseher aufsog: den Hochsprung-Weltrekord der 16-jährigen Ulrike Meyfarth, die Gold-Weitsprünge von Heide Rosendahl oder die sagenhaften sieben Goldmedaillen des smarten Mark Spitz in der Olympia-Schwimmhalle.

Meine Stadt vibrierte im Sonnenschein, bunt, fröhlich und heiter lagen Leichtigkeit und Offenheit in der Luft. Zehn Tage lang. Dann schlug der Terror zu. Das palästinensische Terrorkommando „Schwarzer September“ verübte einen Anschlag auf die israelische Mannschaft. Was als Geiselnahme begann, endete mit der Ermordung aller elf israelischen Geiseln sowie dem Tod eines Polizisten.

Den Sommer 1972 in München, als Elfjährige erlebte ich ihn mit seiner schönsten und seiner schrecklichsten Seite.

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Bilder von Olympia 1972, Stadion in München (Quelle: Kindernothilfe)
Aus meinem Fotoalbum mit Bildern von Olympia 1972 – geknippst von einer knap 11-Jährigen (Quelle: Katrin Weidemann)
Bilder von Olympia 1972, Stadion in München (Quelle: Kindernothilfe)
Aus meinem Fotoalbum mit Bildern von Olympia 1972 – geknippst von einer knap 11-Jährigen (Quelle: Katrin Weidemann)

Mit 11 in Aleppo

Wenn Soulin von ihrer Kindheit erzählt, spricht sie in Superlativen. Es war „die schönste Kindheit“ mit allem „was ein Kind braucht und auf jeden Fall viel Liebe von meiner Familie.“ Soulins Heimatstadt ist das syrische Aleppo. Dort war sie glücklich – bis sie elf Jahre alt ist. Dann bricht 2011 der Krieg aus in ihrem Land. Die Gefahr kommt Monat für Monat näher an ihre Stadt. Zuerst ein paar Schüsse, die zu hören sind. Nachts Helikopter, die die Dörfer rund um Aleppo bombardieren. Bis der Terror mitten in der Stadt ist. Ihre Familie flieht mit dem Auto in die Türkei, nach drei Jahren dort dürfen sie nach Deutschland einreisen.

Das war vor fünf Jahren. Seitdem hat Soulin Deutsch gelernt, hat ihr Abitur gemeistert und begeistert gerade viele junge Mädchen mit ihrer Teilnahme an einer Fernseh-Castingshow, wo sie als Favoritin für den avisierten Top-Model-Job gilt.

10 Jahre Krieg

Der Beginn des Kriegs, vor dem Soulins Familie floh, jährt sich in dieser Woche zum zehnten Mal. Zehn Jahre wüten kriegerische Konflikte in Syrien – und noch immer sind sie nicht zu Ende. Das Land liegt in Trümmern und ist in vier Einflusszonen zerfallen. Die Kampfhandlungen haben mehr als 600.000 Todesopfer gefordert und schätzungsweise 13 Millionen Menschen aus ihrer Heimat vertrieben – mehr als die Hälfte der syrischen Bevölkerung vor dem Krieg. Wer noch im Land lebt ist erschöpft, mutlos und zermürbt.

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Zwei zerstörte Panzer vor einer ebenfalls zerstörten Moschee im syrischen Azaz (Quelle: Kindernothilfe)
Zwei zerstörte Panzer vor einer ebenfalls zerstörten Moschee im syrischen Azaz, nördlich von Aleppo (Quelle: Kindernothilfe)
Zwei zerstörte Panzer vor einer ebenfalls zerstörten Moschee im syrischen Azaz (Quelle: Kindernothilfe)
Zwei zerstörte Panzer vor einer ebenfalls zerstörten Moschee im syrischen Azaz, nördlich von Aleppo (Quelle: Kindernothilfe)

Geraubte Lebenszeit

Besonders Kinder und Jugendliche wird dieser Krieg mit seinen Folgen ein Leben lang zeichnen. Sie sind traumatisiert durch Gewalt, Bomben, durch Hunger und Tod. Gerade erst hat eine Studie von World Vision und Frontier Economics gezeigt, wie brutal zerstörerisch sich die vergangene Dekade auf das Leben von Kindern auswirkte: sie raubte ihnen Lebenszeit und Zukunft. Schätzungsweise 55.000 Kinder wurden, so die Studie, seit 2011 getötet, einige durch Hinrichtung oder durch Folter. Die Gefahr für Mädchen, vergewaltigt zu werden, ist hoch.

Und auch die Zahl der Frühverheiratung von Kindern, die zu erheblichem physischen und psychischen Schäden und Missbrauchen führen kann, hat auf ein alarmierendes Niveau zugenommen. Zehn Jahre Krieg haben die Lebenserwartung der syrischen Kinder insgesamt um 13 Jahre verringert, dazu kommen die gravierenden Auswirkungen von verlorener Bildung. Gerade deshalb sind die Bildungsprojekte unserer Partnerorganisationen im Libanon für rund 2.200 Kinder aus Syrien so unfassbar wichtig und weit mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein.
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Mädchen sitzt am Tisch und malt (Quelle: Kindernothilfe)
Zu den Dingen, die Kinder auf der Flucht am meisten vermissen, gehört die Schule und das gemeinsame Lernen und Spielen.
Mädchen sitzt am Tisch und malt (Quelle: Kindernothilfe)
Zu den Dingen, die Kinder auf der Flucht am meisten vermissen, gehört die Schule und das gemeinsame Lernen und Spielen.

Die Gewalt muss enden

Kinder und ihre Familien haben Schreckliches ertragen müssen. Und noch immer werden Kinder in Syrien verletzt, getötet und vertrieben. 10 Jahre nach Kriegsbeginn.

Ein Ende der Gewalt ist noch nicht in Sicht. Hoffnung auf Reformen oder einen Regime-Wandel gibt es kaum. Doch alle wissen: nur die Beendigung des Krieges kann Frieden und Sicherheit bringen. Die grausamen Zustände müssen endlich beendet werden, um Mädchen und Jungen eine sichere und gesunde Kindheit zu ermöglichen. Syrien braucht einen international abgesicherten Frieden und eine Verfassung, die die Bevölkerung am Wiederaufbau des Landes und der Aufarbeitung der Kriegsverbrechen beteiligt.

1972 in München ließ IOC-Präsident Avery Brundage nach dem Attentat die Olympischen Spiele mit dem Satz fortführen: „The games must go on!“

Der Krieg in Syrien, die Gewalt und das Sterben, sie müssen enden!

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Über die Autorin

Porträtfoto von Katrin Weidemann (Quelle: Kindernothilfe / Studio Hirsch)
Katrin Weidemann
ist seit 2014 Vorstandsvorsitzende der Kindernothilfe. Mit ihren Blog-Beiträgen gibt sie persönliche Einblicke in ihre Arbeit.

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